"Papa, wie hast Du die Mama eigentlich kennengelernt?"
"Ach, das war eigentlich eine sehr abenteuerliche Geschichte!"
"Magst Du sie mir erzählen?"
"Selbstverständlich!"
"Zum ersten Mal gesehen habe ich deine Mutter damals auf der Kirmes in Twisteden. Damals sind Onkel Thomas und ich zum ersten Mal dort hin gefahren, mit dem Mofa. Ich war noch 17 und durfte noch kein Auto fahren. Es war eine kleine Kirmes, gerade mal ein Kinderkarussel, ein Autoscooter und ein paar Buden. Wir hatten uns einen Platz auf einem der Geländer des Autoscooters gesichert und beobachteten die Leute, wie sie mit ihren Scootern im Kreis fuhren. Wir machten uns über diejenigen lustig, die ständig gegen die Bande stießen, lauschten der Musik und tranken Cola. Aus den Boxen schepperte 'I Kissed A Girl' von Katy Perry..."
"Dein Lieblingslied!"
"Eines meiner Lieblingslieder, ja! Damals konnte ich es aber eigentlich nicht leiden, da es mich an meine Exfreundin erinnerte, die mich eine Woche zuvor für ein Mädchen verlassen hatte."
"Für ein Mädchen?"
"Ja, Sandra hat damals ihre lesbische Seite ausgelotet."
"Tante Sandra?"
"Genau, deine Tante Sandra, die jetzt mit Onkel Thomas verheiratet ist."
"Du warst mal mit Tante Sandra zusammen?"
"Ja, aber das war keine gute Idee. Wir haben uns ständig gestritten, und schließlich meinte sie, sie würde doch mehr auf Frauen stehen."
"Aber heute ist sie doch mit Onkel Thomas glücklich, oder?"
"Das musst Du sie selbst fragen. Ich dachte, Du möchtest die Geschichte von Mama und mir hören?"
"Ja! Erzähl weiter!"
"Ich wollte Thomas gerade schon genervt zum Gehen überreden, da sah ich sie. Sie trug die Haare zu einem Pferdeschwanz, dazu ein dunkelblaues Trägerop. Mehr konnte ich nicht erkennen, da sie gerade im Scooter fuhr und ständig von so einem Rüpel gerammt wurde, der offenbar glaubte, dass er sie damit beeindrucken konnte. Tatsächlich war sie offenbar ziemlich genervt."
"Mama nickt ganz heftig!"
"Das glaube ich gerne. Der Typ hieß Sven, wie ich später erfuhr, und hat sie wohl oft belästigt. Am liebsten hätte ich ihm eine geknallt."
"Oh, sagst Du nicht immer, dass man sich nicht schlagen soll?"
"Soll man ja auch nicht, aber ich habe gesehen, dass deine Mama den Tränen nahe war. Und ich wollte dieses bildhübsche Mädchen nicht weinen, sondern lachen sehen."
"Oh wie süß!"
"Als die Fahrt zu Ende war, sprang Deine Mama aus dem Scooter und versuchte, von diesem Sven wegzukommen. dabei lief sie an uns vorbei, ohne Notiz von uns zu nehmen. Der Rüpel lief ihr hinterher. Als er an mir vorbei lief, stellte ich ihm ein Bein."
"Was, echt?"
"Ja. Und er legte sich natürlich voll auf die Nase. Alle drumherum lachten, denn die Leute hatten längst mitbekommen, wie sehr Sven deiner Mutter auf die Nerven ging. Er selbst fand das aber gar nicht lustig. Er stand wieder auf und ging auf mich los. Doch da hatte er die Rechnung ohne Thomas gemacht, der sich zwischen uns stellte."
"War er damals schon so stark?"
"Ja, und er hat intensiv Karate gemacht. Sven hätte alleine keine Chance gehabt, aber plötzlich kamen aus allen Ecken Freunde von ihm, und gegen diese Übermacht wären wir wiederum nicht angekommen. Also blieb uns nichts anderes übrig, als zu unseren Mofas zu laufen und abzuhauen."
"Oh, aber dann hast Du die Mama ja gar nicht kennengelernt!"
"Nicht an diesem Tag nein. Zumindest wusste ich weder ihren Namen, noch wie ich sie hätte wiedersehen können.
*****
"Hattest Du Dich denn schon in sie verliebt?"
"Oh ja."
"Hui!"
"Und ich wollte sie unbedingt wiedersehen. In den nächsten Tagen verbrachte ich viele Stunden auf MySpace, um sie ausfindig zu machen."
"MySpace?"
"Ja, das war sowas wie Facebook. Nur mit viel Musik und ohne Anstupsen."
"Anstupsen?"
"Ach so stimmt, das macht man auf Facebook ja heute auch nicht mehr, Wie dem auch sei, noch bevor ich sie finden konnte, hatte sie schon meinen Bruder angeschrieben."
"Onkel Thomas?"
"Ja. Und er erzählte mir brühwarm, dass er nun mit der Jennifer zusammen wäre."
"Mit der Mama?"
"Ja! Ich war tottraurig, aber auch selbst schuld. Damals glaubte ich, es wäre uncool, wenn ich ihm von meinen Gefühlen erzählen würde, also wusste er nicht, dass ich verliebt war."
"Das ist natürlich doof."
"Allerdings wusste die Mama auch nichts davon, dass sie mit Onkel Thomas zusammen wäre."
"Wie kam er denn darauf?"
"Sie hatte lediglich zugestimmt, ihn zu meinem Geburtstag zu begleiten. Onkel Thomas war immer schon etwas zu enthusiastisch, was die Mädchen anging."
"Also ist die Mama zu deinem Geburtstag gekommen? Das ist doch toll!"
"Na ich war selbstverständlich wenig begeistert. Ich war unglücklich verliebt, und würde dem Objekt meiner Begierde beim Knutschen mit meinem Bruder zuschauen müssen."
"Dem was?"
"Na Deiner Mutter! Meinen 18. Geburtstag habe ich damals zuhause gefeiert, ich lebte ja noch bei Oma und Opa. Wir hatten einen großen Partykeller, und ich hatte alle meine Freunde eingeladen."
"Und die Mama!"
"Die hatte der Thomas tatsächlich mitgebracht. Als sie vor mir stand, wurden meine Knie weich. Und als sie mich zur Begrüßung umarmte und mir zum Geburtstag gratulierte, dachte ich, ich würde umkippen!"
"Warum denn das?"
"Weil sie so unendlich gut roch."
"Das tut sie auch heute noch."
"Oh ja! Jill Sander Sun. Das trägt sie heute noch oft auf!"
"Aber wenn sie mit Onkel Thomas da war, wie seid Ihr denn dann zusammen gekommen?"
Hab Geduld, dazu komme ich ja jetzt. Es war eine echt schöne Feier. Alle lachten und tanzten viel, und ich trank das eine oder andere..."
"Bier?"
"Äh ja. Ich meine, ich war ja nun volljährig, da war das schon okay. Ich vergaß beinahe, dass meine Angebetete mit meinem Bruder zusammen zu sein schien, und genoss meinen Geburtstag. Irgendwann, die meisten Gäste waren schon gegangen, überkam mich allerdings eine gewisse Melancholie.."
"Eine was?"
"Ich wurde traurig. Es kam, nachdem wir zu 'Allein Allein' von Polarkreis 18 getanzt hatten. Auf einmal wurde mir bewusst, dass da die Liebe meines Lebens gerade bei meinem Bruder in den Armen hing, und ich verzweifelte. Also ging ich zum Plattenspieler und legte diese alte Single auf, die mir mein Vater einst geschenkt hatte."
"Was war das?"
"'Pictures Of You' von The Cure. Es war mir egal, dass ich der einzige war, der darauf tanzte. Doch dann geschah es."
"Was?"
"Deine Mutter kam auf die Tanzfläche geschwebt, tanzte um mich herum und küsste mich schließlich!"
"Oh wie romantisch! Aber Mama, wieso hast Du das getan?"
Jennifer lächelte ihre Tochter an.
"Für die Liebe braucht es keine Begründung, mein Schatz. Weder für die zu deinem Vater, noch für meine Liebe zu Dir."
Veröffentlicht: 12.05.2019